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Retention: So binden Beratungsunternehmen Potenzial- und Leistungsträger


Die Bindung qualifizierter Fach- und Führungskräfte stellt auch Unternehmen der Beratungsbranche vor Herausforderungen. Um Mitarbeiter zu gewinnen und dauerhaft im Unternehmen zu halten, kommen neben einer wertschätzenden Unternehmenskultur auch arbeitsvertragliche Instrumente in Betracht. Die folgenden beiden Artikel beleuchten beide Sichtweisen auf das Thema.

Bindung über Verträge

 

 

Bonus- und Beteiligungsprogramme gestalten

 

Die am weitesten verbreitete Möglichkeit zur arbeitsvertraglichen Bindung von Leistungsträgern an den Arbeitgeber sind Bonus- und Beteiligungsprogramme, um das vom Mitarbeiter erwartete, attraktive Vergütungspaket leistungsorientiert auszugestalten. Vom Unternehmen werden in Abhängigkeit von festgelegten Ziel- oder Umsatzvorgaben Geldzahlungen oder Beteiligungsausschüttungen in Aussicht gestellt. Diese sollen die Leistungsbereitschaft des Mitarbeiters steigern und dem Arbeitgeber eine individualisierte Vergütung der Führungskraft ermöglichen.

 

Bonus- und Beteiligungsprogramme können Teil des Arbeitsvertrages sein oder als Zusatzvereinbarung – auch zu einem späteren Zeitpunkt – abgeschlossen werden. Der Arbeitgeber muss dabei darauf achten, Ziel- und Umsatzvorgaben so klar und transparent wie möglich zu definieren. Dies erleichtert zum einen die Kontrolle dieser Vorgaben, zum anderen soll Streit über das Maß der Zielerreichung und die daraus abzuleitende Höhe der Vergütung vermieden werden. Die entsprechende Gestaltung und Umsetzung solcher leistungsorientierten Vergütungssysteme bedarf einer gewissen Disziplin und laufenden Steuerung, insbesondere auf Seiten des Arbeitgebers, sie sind keine „Selbstläufer“.

 

Einfacher zu handhaben sind Vergütungsklauseln, die an die Betriebstreue des Leistungsträgers anknüpfen (sog. Halteprämien). Sie sehen eine Sonderzahlung vor, wenn das Arbeitsverhältnis mit dem Mitarbeiter zu einem bestimmten Stichtag des Jahres fortbesteht.

 

Leistung oder Betriebstreue belohnen

 

Vorsicht ist jedoch bei sogenannten Sonderzahlungen mit „Mischcharakter“ geboten. Diese sollen sowohl die Leistung des Mitarbeiters durch die variable Vergütungskomponente, als auch dessen Betriebstreue belohnen und den Mitarbeiter längerfristig an das Unternehmen binden.

 

Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) aus dem Jahr 2013 (BAG, Urteil vom 13. November 2013 – 10 AZR 848/12) ist es hierbei unzulässig, durch die Aufnahme von Stichtagsklauseln die Auszahlung der durch Leistung bereits verdienten Vergütung an die Betriebstreue und das Bestehen des Arbeitsverhältnisses zum Stichtag zu knüpfen. Vielmehr behält der Mitarbeiter auch bei gekündigtem Arbeitsverhältnis einen anteiligen Anspruch für die bereits geleistete Arbeit, da er ansonsten unangemessen benachteiligt würde. Vertragsklauseln mit einem derartigen Mischcharakter können ihre vom Arbeitgeber bezweckte Funktion einer Bindung des Mitarbeiters somit nicht erfüllen, da der Mitarbeiter auch bei bereits gekündigtem Arbeitsverhältnis Teile der Sondervergütung erhält. Folglich ist auf die strikte Trennung einer leistungs- und einer treuebasierten Sonderzahlung zu achten, da im Zweifelsfall letztere leerlaufen würde. Es ist jedoch weiterhin möglich, die Betriebstreue zu honorieren, indem die Vertragsparteien Sonderzahlungen vereinbaren, die ausschließlich diesen Zweck verfolgen.

 

Nachvertragliches Wettbewerbsverbot vereinbaren

 

Ein weiteres gängiges Mittel zur Bindung von Führungskräften ist die Vereinbarung eines nachvertraglichen Wettbewerbsverbots. Während des Bestehens des Arbeitsverhältnisses gilt bereits gem. § 241 Abs. 2 BGB grundsätzlich ein Wettbewerbsverbot. Unter den Voraussetzungen der §§ 74 ff. HGB kann dieses jedoch auch auf den Zeitraum nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses ausgedehnt werden.

 

Ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot muss ausdrücklich und schriftlich vertraglich vereinbart sein – entweder als Teil des Arbeitsvertrages oder als separate Vereinbarung. Ferner müssen klare und präzise Angaben zu zeitlicher, räumlicher und sachlicher Geltung des Verbots enthalten sein. Ein Verbot darf grundsätzlich nur für einen Zeitraum bis zu zwei Jahren und für eine bestimmte Region und eine bestimmte Branche vereinbart werden. Unter Umständen kann jedoch bei Führungskräften international tätiger Unternehmen ausnahmsweise auch ein globales Wettbewerbsverbot in der betreffenden Branche zulässig sein. Erfüllt das Wettbewerbsverbot diese strengen Voraussetzungen nicht, so ist es für den Mitarbeiter unverbindlich.

 

Mit dem nachvertraglichen Wettbewerbsverbot geht die Pflicht des Arbeitgebers einher, dem ehemaligen Arbeitnehmer für die Dauer des Verbots eine Karenzentschädigung in Höhe von mindestens der Hälfte des zuletzt bezahlten monatlichen Gehalts zu zahlen. Auch hierbei ist jedoch Vorsicht geboten, denn Bemessungsgrundlage sind außerdem die in den letzten drei Jahren gezahlten variablen Vergütungsbestandteile, worunter auch Sonderzahlungen fallen. Zwar erschwert ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot den Schritt einer Führungskraft aus dem Unternehmen, geht aber gleichzeitig mit erheblichen Kosten einher.

 

Fazit

 

Führungskräfte, die ein Unternehmen verlassen wollen, werden sich durch die vereinbarten arbeitsvertraglichen Klauseln nicht von ihrem Entschluss abbringen lassen. Der Arbeitsvertrag und die darin enthaltenen Vergütungsvereinbarungen bilden dennoch das Fundament der Beziehung der Führungskraft zum Arbeitgeber und sind somit ein wichtiges Element der Gewinnung und Bindung qualifizierter Fach- und Führungskräfte.

 

 

Dr. Timo Karsten, Fachanwalt für Arbeitsrecht und Partner der internationalen Kanzlei Osborne Clarke in Köln. 

Bindung über Unternehmenskultur 

 

 

Ein attraktives Gesamtpaket schnüren 


Wie die übrige Unternehmenswelt müssen sich auch Beratungshäuser bei der Rekrutierung und Weiterentwicklung von Mitarbeitern den Herausforderungen des fortschreitenden Wertewandels sowie den demografischen Veränderungen stellen. Über lange Zeit hat die Consultingbranche vom Karrierestreben und dem Wunsch nach Schnelligkeit in der persönlichen Entwicklung profitiert. Heute hat die Branche damit zu kämpfen, dass eine „schnelle Karriere“ von Potenzial- und Leistungsträgern immer weniger als erstrebenswert erachtet wird. Auch hohe Gehälter werden aufgrund der hohen Arbeitsbelastung vorausgesetzt und dienen eher als „Hygienefaktor“ denn als Retention-Instrument.

 

Daher ist heute vielmehr das Gesamtpaket entscheidend, das ein Arbeitgeber bietet: Vermeintlich weiche Faktoren wie die Unternehmenskultur, die Identifikation mit den Unternehmenswerten, eine bessere Work-Life-Balance oder die Möglichkeit zu agilem Arbeiten werden zu wesentlichen Einflussfaktoren auf die Mitarbeiterbindung und Wechselbereitschaft. Gelingt es den Beratungshäusern nicht, ein attraktives Paket zu schnüren, ist ein Wechsel auf Kundenseite oder in die Selbständigkeit immer häufiger die Folge. Letzteres ist für die Beratungshäuser doppelt schmerzhaft, wenn die Umsatzbringer die Beratung verlassen und gleichzeitig Kunden mitnehmen. Von der Selbständigkeit versprechen sich die Berater vor allem weniger Auslastungsdruck, Arbeit auf Augenhöhe in einem selbstgewählten Team und Inhalte, die sie als sinnhaft betrachten und die ihnen Freude bereiten. Wie können Beratungen vor diesem Hintergrund die Bindung von Potenzial- und Leistungsträgern erhöhen?

 

Unternehmenswerte definieren und eine wertschätzende, offene Unternehmenskultur leben

 

Um die Sinnhaftigkeit in ihrer Aufgabe zu erkennen, werden für Mitarbeiter Werte als Handlungsorientierung, Verhaltensmaßstäbe und Entscheidungsgrundlage zu einem wichtigen Pfeiler. Folglich sollten sich Beratungshäuser damit auseinandersetzen, welche Werte die Basis für ihr Tun bilden. Eng mit den Werten verbunden ist die Gestaltung der Unternehmenskultur. Hilfreich ist dabei, einen Soll-/Ist Abgleich zu machen, d. h. sich darüber klar zu werden, ob die Vorstellung der eigenen Kultur auch der Realität entspricht. „Work hard / play hard“ kann auch als reines „Work hard / work hard“ oder „work hard / play unfair“ empfunden werden. Denn die Werte dürfen keine reinen Lippenbekenntnisse bleiben, sondern müssen im Unternehmensalltag gelebt werden.

 

Mitarbeitern bessere Work-Life-Balance und Freiräume ermöglichen

 

Projekte mit Arbeitstagen von zwölf und mehr Stunden, mitunter eine wochenlange Trennung von Partner und Familie sind in der Beratung keine Seltenheit. Immer weniger Menschen sind bereit, diese Belastung dauerhaft zu schultern. Die großen Beratungshäuser haben bereits erkannt, dass der kreative Umgang mit Zeitkonten ein gutes Instrument ist, um Entlastung zu schaffen und Mitarbeiter zu binden. Die freie Zeit nutzen die Berater zum Beispiel für eine Promotion oder ein Sabbatical. Zudem sind auch im Consulting Teilzeitregelungen eine Option. Wichtig ist, dass Führungspersonen Work Life Balance nicht nur als Schlagwort betrachten, sondern in Gesprächen die individuellen Freiraumbedarfe ihrer Mitarbeiter erfragen, aktiv zuhören und im Anschluss versuchen, kreative Lösungen zu finden, die Unternehmen und Mitarbeitern gleichermaßen dienlich sind.

 

Persönliche Nähe schaffen und im Gespräch bleiben

 

Das klassische Jahresgespräch reicht nicht aus, um zu erfahren, was die Mitarbeiter wirklich bewegt, an welchen Punkten sich ggfs. Unzufriedenheit entwickelt und welche berufliche Entwicklung sie sich wünschen. Um eine persönliche emotionale Bindung an das Unternehmen und das Team zu entwickeln, ist ein regelmäßiger – auch informeller – Austausch notwendig. Dabei geht es gar nicht darum, dem Mitarbeiter alle Wünsche zu erfüllen, sondern Wertschätzung und Anerkennung zu zeigen und ihm das Gefühl zu geben, einen wichtigen Teil zum Erfolg des Unternehmens beizutragen. Auch und gerade, wenn Sie nicht alle Wünsche erfüllen, haben Sie so die Möglichkeit, gemeinsam Alternativen zu entwickeln, bevor der Mitarbeiter eine externe Alternative in Betracht zieht.

 

Mosaikkarriere statt "up or out"

 

Eine weitere Möglichkeit, Leistungs- und Potenzialträgern neue Impulse für ihre Entwicklung zu geben sind Mentoren-Programme. Durch den regelmäßigen persönlichen und individuellen Austausch mit erfahrenen Beratern erhält der Nachwuchs Zugang zu Wissen und Erfahrungen, die ihm auf keinem anderen Weg in dieser Weise zugänglich wären. Gleichzeitig können die Beratungshäuser so erfahrenen Partnern, (die evtl. auch dem schnelllebigen Projektgeschäft den Rücken kehren wollen) ihre Wertschätzung zeigen und sie als Mentoren an das Unternehmen binden.

 

Wenn Beratungshäuser Leistungsträger binden möchten, müssen sie sich von klassischen Kaminkarrieremodellen zu kompetenzbasierten Entwicklungsmaßnahmen orientieren. Das Modell der Mosaikkarriere beinhaltet side steps, d.h.  beispielsweise als Senior Project Manager in neuen, fachfremdem Projekten eine Rolle ohne Projektleiteranteil und zu geringeren Tagessätzen einzunehmen. Liefern und Lernen, auch wenn man an anderem Ort ertragreicher liefern könnte. Aus dem klassischen „up or out“ wird „up, stay learning via sidesteps, or out". Dies ermöglicht mehr Flexibilität in der Mitarbeiterentwicklung und Alternativen zu den immer unbeliebteren Führungspositionen.

 

Fazit

 

Mit diesen Maßnahmen legen Beratungshäuser eine gute Basis, um Potenzial- und Leistungsträger zu binden und zu halten. Dennoch wird es immer Mitarbeiter geben, die aus unterschiedlichen individuellen Gründen wechseln. Auch wenn es erst einmal paradox klingen mag: diese Mitarbeiter dabei zu unterstützen, extern in verantwortungsvolle Positionen zu gelangen, kann durchaus der Bindung an das eigene Beratungshaus dienen. So kann aus dem ehemaligen Mitarbeiter ein künftiger Auftraggeber/Kunde werden oder ein Netzwerkpartner, über den man Kontakt in die Branche und zu Unternehmen halten kann.

 

 

Dr. Christian Siemen (Senior Experte Personalumbau / Innovation Board) und Christian Summa (Director & Partner Personalumbau) bei von Rundstedt und Partner

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